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Titel
Bodywear. Geschichte der Trikotkleidung, 1850–2000


Autor(en)
Burri, Monika
Reihe
Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik 19
Erschienen
Zürich 2012: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Caroline Huwiler

Wer kennt sie nicht aus eigener Erfahrung oder aus der plakativen Werbung der 1950er und 1960er Jahre: Kinderpyjamas von Calida, welche durch die von der Firma patentierten Abschlussbündchen ein nächtliches Verrutschen und damit nackte Arme, Beine und Rücken im Schlaf verhindern? Oder die seit den 1980er Jahren dank innovativen Modeschöpfern wie Calvin Klein (wieder) getragene fein gerippt-gestrickte weisse Männerunterwäsche (zusammengehalten von einem breiten Gummiband, auf welchem der Name des Designers prangt und das aus dem Hosenbund hervorblitzt), für die Pauline Zimmerli bereits 1874 den Grundstein legte. Oder das passende feminine Pendant: die «seamless»-Damenwäsche-Kollektion von Hanro, die dank Nicole Kidman in Stanley Kubricks Film «Eyes Wide Shut» von 1999 einen regelrechten Boom auslöste. Anhand solcher nicht nur in der Schweiz wohlbekannter Trikotprodukte oder «Bodywear» erklärt uns Monika Burri in ihrer 432 Seiten starken Dissertation die Geschichte der 150-jährigen Geschichte der Trikotkleidung.

Das Gebiet der Maschenstoffe wird von der Autorin aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Sie legt die technischen, betriebsorganisatorischen und kulturellen Grundlagen für die Wirkerei- und Strickereiindustrie dar, folgt deren Anfängen im 19. und ihrem Aufschwung im 20. Jahrhundert, ihrer spezifisch schweizerischen Ausprägung und ihrer geschlechterspezifischen Ausbreitung. Bereits die einleitenden Begriffserklärungen versprechen einen spannenden Einblick in das Gebiet des Maschenstoffs und dessen Produktion und zeigen auf, welche vielschichten Zugänge und Verknüpfungen der Forschungsgegenstand zu bieten hat.

Die Historikerin hält fest, dass trotz grosser Bedeutung der Bekleidungsindustrie und des Kleiderkonsums dem Untersuchungsgegenstand Kleidung in den Geschichtswissenschaften wenig Beachtung geschenkt wird. Wichtige Impulse in der Kleiderforschung stammen ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Trachtenforschung. Um die Wende zum 20. Jahrhundert mehren sich Studien rund um das Phänomen Mode aus soziologischer, philosophischer und ökonomischer Sicht. Mit der Ausgestaltung verschiedener Stilrichtungen von Kleidung und deren zunehmender Medialisierung differenzieren sich die Mode- und Kleidungstheorien. Es werden kommunikative Aspekte von Kleidung hervorgehoben und analysiert.

Der vorliegenden Studie liegen bisher kaum erschlossene Firmenarchive von Calida, Sawaco, Hanro und Zimmerli zugrunde. Bei den hier vorgefundenen Archivalien handelt es sich vorwiegend um textile Musterstücke und Werbematerialien. Die heterogene und lückenhafte Quellenlage wurde ergänzt durch fundierte Recherchen in Modezeitschriften und zeitgenössischer Fachliteratur. Expertenberichte von Welt- und Landesausstellungen sowie insbesondere auch die Jahresberichte des Schweizerischen Wirkerei-Vereins wurden beigezogen.

Methodologisch stützt sich die Autorin auf das ethnografische Programm der «dichten Beschreibung» und versteht Kleidung als kulturelles «Bedeutungsgewebe». Ausgehend von charakteristischen Produkten aus der Wirkerei- und Strickereiindustrie – wie Gustav-Jaeger-Hemden, Reformleibchen, Badetrikots, T-Shirts usw. – wird der Versuch unternommen, die zahlreichen historisch relevanten «Fäden», die im «Bedeutungsgewebe» dieser Produkte verstrickt sind, sichtbar zu machen. Der produktebiografische Ansatz, welcher den Lebensweg eines Produkts von der Herstellung und Vermarktung über die Distribution und den Verkauf bis zum Erwerb und Gebrauch untersucht, hilft der Autorin, die Arbeit zu strukturieren.

Monika Burri gliedert ihre Arbeit in drei sich zum Teil überschneidende Zeitblöcke, die jeweils durch idealtypische Muster der Trikotherstellung charakterisiert werden. Diese Muster entstehen durch neue Produktionsmechanismen, Vertriebsinnovationen und damit verbundene betriebsorganisatorische Konsequenzen.

Im ersten Teil zeichnet die Autorin die Formierung der maschinellen Wirkerei und Strickerei zu einem neuen Industriezweig nach, welcher die bis Ende des 19. Jahrhunderts getrennten Produktionsstufen der Stoffherstellung und Kleiderfertigung vereinigte. Die neuen Unternehmensformen waren Voraussetzung für den im Entstehen begriffenen Fertigkleidermarkt, welcher nun anfing, serienmässig praktische, gesunde und bewegungsfreundliche Unter- und Oberbekleidung für Damen und Herren hervorzubringen.

Ab den 1920er-Jahren wurde die Wirkerei- und Strickereiindustrie von neuen Körperbildern und Moden, vor allem in der Damenbekleidung, beeinflusst. Der zweite Zeitblock der Arbeit widmet sich der von den Fabriken als zukunftsträchtig erachteten Fabrikation von modernen, eleganten Damendessous und Damenoberbekleidung.

Die Verfügbarkeit von Synthetikfasern, neuen Modeleitbildern, vielfältigen Präsentationsformen und -medien für textile Neuheiten sowie der in den 1960er- Jahren erfolgte Durchbruch der Fertigkleiderindustrie bilden den Rahmen des letzten Blocks. Im Zentrum steht die Entstehung und Verbreitung einer multifunktionalen Allroundbekleidung, welche – als Bodywear bezeichnet – von der Underwear zur Outwear-Mode emporstieg.

Die Leistung dieser äusserst spannend zu lesenden Studie von Monika Burri liegt darin, die wenig beachtete Wirkerei- und Strickereiindustrie erforscht und sie in den breiten Zusammenhang von Mode, Gesellschaft, Technik, Wirtschaftsund Handelsgeschichte gestellt zu haben. Die Autorin liefert damit einen facettenreichen Einblick in ein Gebiet, das aus dem heutigen textilen Alltag nicht mehr wegzudenken ist.

Mit Spannung sind Innovationen in der Trikotverarbeitung weiterzuverfolgen: möglich, dass wir unseren Körper aus ökologischen Gründen (Insektizide, Transportwege, Wasser- und Erdölverbrauch) bald nicht mehr in uns vertraute trikotverarbeitete Fasern aus Wolle, Seide, Baumwolle oder Synthetik hüllen, sondern dass diese durch neue Garne aus alternativen Naturfasern wie Algen, Bananen, Brennesseln oder Milch (!) ersetzt werden (bz Nordwestschweiz, 24.10.2013, S. 9: Wenn Milch und Algen am Kleiderbügel hängen).

Zitierweise:
Caroline Huwiler: Rezension zu: Monika Burri, Bodywear. Geschichte der Trikotkleidung, 1850–2000, Zürich: Chronos Verlag, 2012 (Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik, Bd. 19). Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 485-487.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 485-487.

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